Ein Abiturient in Angpang

Momentaufnahmen aus Angpang: Wie ein kleines nepalesisches Dorf mein Leben verändert hat
(von Philipp von Vultejus aus Hamburg)

Ein Bericht, unterteilt in kurze – aber für mich sehr besondere – Momente während meines zweimonatigen Aufenthalts in Angpang.

Dank meines täglichen Tagebuch-Schreibens kann ich viele Dinge festhalten. Jeder Tag ist voll von kleinen, aber sehr intensiven Momenten. An jedem Tag darf ich dazulernen. Jeder Tag ist auch voll von sehr lustigen Momenten.

Der Bericht von Marina, die auch schon hier unterrichtete,  hat das Leben in Angpang sehr genau und gut beschrieben. So war es also  zu erwarten – aber es fühlt sich extremer an, als ich dachte. Es ist einfach alles anders und neu. Mit einer großen Portion Neugier und Offenheit erlebe ich diese kleinen Momente mit viel Freude. Ob neue Wörter in Nepali, etwas über das nepalesische Schulsystem, das Kochen mit offenem Feuer und die Arbeit auf dem Feld,  Wäschewaschen, ein Leben ohne Kühlschrank, ein Plumpsklo und das tägliche Lehrer-Spielen – das sind alles Kleinigkeiten, und doch Dinge, über die man im Alltag im industrialisierten Deutschland nie nachdenkt.

Ein Kratzen und dann ein lautes „Kikeriki“ machen das Aufwachen von Anfang an sehr besonders: Die Hühner. Für mich als gerade Abiturient ist die ansonsten morgendliche Ruhe etwas Neues. Die Schule beginnt erst um 10 Uhr und durch das frühe Schlafengehen am Abend geht der Tag morgens auch schon zwischen 5.00 und 6.00 Uhr los.

Zusammen mit Deek Dhan, dem Englisch Lehrer der Schule, steht für mich jeden Morgen ein Jogging an. Wir treffen uns  um 6.00 Uhr und laufen 30-40 min den Berg hoch. Schon in Deutschland war Sport ein wichtiger Bestandteil meines Alltags und somit nehme ich sein Angebot gerne entgegen. Der erste Lauf ist an dem bis dahin schönsten Morgen. Es ist schwierig, sich auf das Laufen zu konzentrieren bei einem Blick auf die 6000-7000 m hohen Berge des Himalaya mit blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein. Wir laufen die Straße hoch. Mir war klar, dass diese Straße für mindestens die nächsten 10 Kilometer erst einmal bergauf geht. Mein Schnaufen ist unüberhörbar und ich fange immer öfter an, nach Luft zu schnappen. Ich versuche, ein Schnaufen von Deek Dhan wahrzunehmen, kann aber nichts hören. Er singt fröhlich und pfeifend mit der trillernden nepalesischen Flötenmusik. Nach ca. einem Kilometer Serpentinenlaufen gebe ich auf. Es geht einfach nicht mehr.

Von nun an laufen wir jeden Morgen. Ich merke schnell, dass sich mein Körper der Höhe anpasst und wir immer ein Stückchen weiter laufen können. Irgendwann kommen wir an ein kleines Haus mit einem unglaublich schönen Ausblick. Dieses Haus liegt auf ca. 2600 m Höhe. Wir werden dort im Laufe der Zeit immer wieder zum Kaffee eingeladen.

Man muss den Morgen nutzen, da es in der Monsunzeit nach meinem Empfinden immer gegen Nachmittag regnet. Der viele Regen nervt ein wenig, doch hatte ich es viel schlimmer erwartet. Die Sonne scheint trotzdem viel und es ist meistens auch sehr warm. Die Wärme erleichtert das kalte Duschen und das Leben draußen sehr.

Aber mit der Zeit wird es langsam kälter in Angpang. Die Monsunzeit ist fast vorüber und die winterlichen Monate kommen näher. Durch die Höhe merkt man diese Kälte an bewölkten und regnerischen Tagen sehr schnell. Das Feuer und der Ofen sind dann wichtig, um wenigstens den Speiseraum etwas warm zu halten. Mit einem Pulli und einer Daunenweste halte ich mich oben herum warm. Nur unten, an den Füßen, ist die Kälte ein Problem. In den Latschen bleiben die nackten Füße durchgehend kalt.

Mit den Worten „can you teach?“ übernehme ich am ersten Tag eine zweite Klasse. Mit gerade erst dem Abi in der Tasche, stehe ich nun vor 15 kleinen Nepalesen, die mich fragend und mit großen Augen angucken. Neben mir eine Lehrerin, die wohl denkt, sie tut mir einen Gefallen damit, mich vor eine Klasse zu stellen. Sie wartet auch gespannt auf meinen Unterricht. Alle warten gespannt. English, Mathe… ich weiß nicht einmal, welches Fach ich unterrichten soll, oder auf welchem Leistungsstand die Klasse war. „Learning by doing“…. mehr brauche ich dazu nicht zu sagen.

Mit Spaß und Freude versuche ich jeden Tag zu unterrichten. Lehrer-Sein ist wirklich nicht leicht. Besonders nicht, wenn die Schüler nur wenig Englisch können. Mit Händen und Füßen müssen Spiele und neue Dinge erklärt werden. Mir wird schnell bewusst, dass ganz besonders das Fußballtraining sehr gefragt ist. In jeder Klasse werde ich begrüßt mit einem kurzen „Good Morning. Sir!“ und  „Play football????“… sehnsüchtige Blicke, welchen man eigentlich nur schwer widerstehen kann. Jedoch belohne ich nur die Klassen, die auch gut im Unterricht mitmachen. Fußball wird nur in „Leisure-time“ oder bei guter Arbeit gespielt. Zur Freude der Kinder spiele ich dann natürlich auch immer mit. Für die Kinder steigt die Anspannung.

Oben angekommen, belohnten Deek und ich uns mit
einem unfassbar schönen Ausblick auf das Himalaya-Gebirge.

Teil 2

Während meines Aufenthaltes hat sich die Schule vom Äußeren her sehr stark verändert. Die noch zuvor einfach in gelber Farbe gestrichenen Zimmer mit blauen Dächern werden nun mit bunten Zahlen für die jeweilige Klasse versehen. Der Name der Schule wird an das neue zweistöckige Gebäude geschrieben und traditionelle Symbole werden an den Wänden aufgemalt. Die Schule sieht gleich viel mehr wie eine Schule aus und nicht wie ein Gefängnis, wie viele andere Schulen, die ich im Umkreis sehen durfte. Die Zustände von Klassenräumen anderer Schulen in Nachbardörfern haben mich wirklich stark schockiert. Es sind kalte, von den Wänden und der Ausstattung her leere, zum Teil viel zu kleine Räume. Für mich muss ein Klassenraum ein Ort sein, wo man sich wohl fühlt und sich gerne aufhält. Nur dann kann Lernen auch erfolgreich sein. Natürlich weiß ich auch, dass ich durch das deutsche Schulsystem  sehr verwöhnt wurde und diese Schüler hier niemals so einen hohen Anspruch haben. Dennoch ist der Kontrast sehr extrem.

Klassenzimmer in der Schule in Bagam. Ein kleiner, finsterer, kalter Raum

An jedem Freitag ist Zeit für kreative Dinge. An einem der Tage packt die gesamte Schule mit an, um eine Bühne zu bauen. Es werden Steine geschleppt, Gras geschnitten, Erde geschaufelt und Steine gemeißelt. Eine sehr beeindruckende Arbeit, wo es großen Spaß macht, mitzuhelfen und anzupacken. Es ist wirklich beeindruckend zu sehen, wie die ganze Schule mitmacht. Jeder weiß genau, was zu tun ist. Die Mädchen schneiden Gras weg, um Platz für die Bühne zu machen. Dafür binden sich alle ein sehr traditionell aussehendes Tuch um den Kopf und nutzen ein fein gezackte Sichel. Die Jungen holen entweder Steine oder helfen den Lehrern dabei, mit Schaufel und Hacke ein rechteckiges Plateau auszuheben. Das Geschick und die Organisation bei der Arbeit kann ich nur bestaunen.

Am folgenden Freitag soll, nach einer Abstimmung von Lehrern und dem sogenannten “Children’s Club”, ein Badminton-Feld gebaut werden. Ein Volleyball-Feld gibt es ja schon, doch hat die Schule so viel Badminton-Equipment, das bis dahin gar nicht genutzt werden konnte. Schaufel und Hacke werden wieder heraus geholt und es wird versucht, die Erde gleichmäßig zu verteilen, damit eine gerade Ebene entsteht. Die Schüler haben dabei eine sehr interessante Schaufeltechnik. Einer schaufelt, und der andere zieht gleichzeitig an einer Schnur am Schaufelblech. Diese Technik macht es viel leichter. Es fängt an zu regnen, doch wird die Arbeit keineswegs unterbrochen. Die Lehrer stehen in Hemd und Anzugshose im Matsch und arbeiten weiter. Ein beeindruckender Einsatz. Ganz besonders von Nandaraj, dem Mathelehrer der Schule, der sich die Freitage und das Verbessern der Schule wirklich zu Herzen genommen hat.

Zusammen mit der ganzen Schule wird eine kleine Bühne gebaut.
Beeindruckend, wie dabei jede Altersklasse eine Aufgabe bekommt
und es eine gut organisierte Einteilung gibt.

 

Teil 3

Nach wenigen Tagen merke ich, wie verspielt die Kinder sind. Aus allem und Nichts wird ein Spiel hergezaubert. Das beliebteste Spiel ist ein Murmelspiel, bei dem man durch Schnipsen der einen Murmel die andere wegkicken muss. Ein sehr einfaches Spiel, das die Kinder jedoch stundenlang spielen können. Es gibt schwere Diskussionen und alle hocken in der gleichen Pose auf dem Boden. Sie blicken gespannt auf die gegnerischen Murmeln.

Fußball ist auch eine große Leidenschaft und auf dem kleinen Hof von Kul lässt sich schnell mit einem flauen Ball, Latschen und 4 Steinen ein Spielfeld aufbauen. Sudhersan, Anusha und Anuk (Cousins und Cousinen) spielen alle mit. Wir spielen häufig nach der Schule. Die Frauen der Familie empfinden das  als lustig und stoppen  für einen Moment mit der Arbeit. Alle setzen sich auf Hocker und schauen voller Begeisterung zu. Ein sehr toller Anblick und ein großer Spaß für Alle.

Samstag ist der einzige freie Tag in Nepal bzw. hauptsächlich für Angestellte, Schüler und Lehrer. Auf die Frage, ob Kul und seine Frau auch einmal einen Tag ruhen, sagt Kul:„Das Feld wartet nicht. Tiere und Pflanzen müssen jeden Tag versorgt werden.“ Da ich an so einem langen Tag nicht wirklich viel zu tun habe, frage ich die Lehrer, ob es möglich wäre, an einem dieser Samstage auf dem Schulhof Fußball zu spielen. Kurz darauf wird in den Klassen Bescheid gegeben. Ich lade alle ein, sich um 11 Uhr auf dem Pausenhof zu treffen. In nepalesischer Zeit bedeutet dies, dass man wohl ab 11 Uhr kommen kann. Die Schüler treffen zwischen 11 und 13 Uhr ein. Viele nehmen deswegen einen mehrstündigen Weg auf sich. Dies beeindruckt mich sehr.

Das unterschiedliche Eintreffen macht ein Spiel schwierig, da sich die Anzahl der Spieler durchgehend verändert. Mir gelingt es trotzdem, 4 Teams aus den 30 total aufgeregten und dem Ball hinterher jagenden Kindern zu organisieren. Man muss gut aufpassen, dass alle gut integriert sind, da einige dazu neigen, sich zurückziehen. Alle haben Spaß und jeder spielt gegen jeden. Es ist schön zu sehen wie Kinder, die vorher noch  sehr schüchtern wirken, sich bei so einer Veranstaltung immer mehr öffnen und wir zusammen viel lachen können. Es wird über Fußball und Fußballmannschaften gesprochen und diskutiert. Es ist anders, als wenn man die Kinder ganz normal in der Schule unterrichtet.

Hausaufgaben und das eigenständige Lernen zu Hause werden nicht vorausgesetzt. Für viele Schüler ist das Lernen mit dem Schulschluss abgeschlossen. Mit einer Unterrichtslänge von 30 min ist jedoch nicht für ausreichend Zeit gesorgt, viel mit den Schülern zu machen. Man kann Material durchgehen, aber viel Arbeit muss von den Schülern zu Hause geleistet werden. Den Unterricht insgesamt würde ich als „Copy & Paste“ beschreiben. Alles wird entweder von der Tafel oder aus dem Buch abgeschrieben. Vielen fällt es schwer, selbstständig Aufgaben zu lösen.

Für mich als Englischlehrer ist es schwierig, hier so  zu unterrichten wie ich in Deutschland unterrichtet wurde. Und Spaß hat für mich Priorität. Lachen lockert die Stimmung auf. Und so ist es nach kurzer Zeit möglich, mit einigen Klassen ein Unterrichtsgespräch zu führen. Nachdem ich beginne, Hausaufgaben aufzugeben und ich feststellen muss, dass sie niemand bearbeitet hat, muss ich den Schülern mit verärgertem Ton mitteilen, dass die Hausaufgaben gemacht werden müssen. In manchen Klassen setze ich Fußballspielen als Belohnung für erledigte Hausaufgaben aus. Ein Großteil der Schüler aus den Klassen macht ab diesem Zeitpunkt ihre Hausaufgaben. Es bleiben nur vereinzelte Schüler übrig, die jedes Mal  nichts machen. Meistens sind es leistungsschwache Schüler, die aufgegeben haben. Die unterschiedlichen Niveaus in den Klassen machen es für mich sehr schwierig, ein passendes Unterrichtsniveau zu finden. Nachhilfe, wie wir sie in Deutschland haben, gibt es dort nicht. Schüler mit einer Lernschwäche, fallen einfach hinten runter. Auch die Lehrer an der Schule sind häufig verzweifelt, weil sie nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen und keine Zeit haben, auf Schüler individuell einzugehen. Deek erzählt mir, dass das größte Problem der Schüler häufig die Eltern sind. Viele von ihnen sind ungebildete Bauern, die ihre Kinder nur wenig unterstützen.

Die zweite Klasse darf in der Freizeit-Schulstunde Fußball spielen

Fußballturnier an einem Samstag.

 

Teil 4

Nach meinen ersten 1 1/2 Wochen in Angpang denke ich, ich hätte mittlerweile alle Anfangsschwierigkeiten überwunden. Jedoch gibt es noch das Problem mit der Wäsche. Die Klamotten müssen auch irgendwann gewaschen werden. Ein Morgen mit blauem Himmel und strahlender Sonne bietet sich optimal  an. Ich mache jedoch den großen Fehler und lasse die Wäsche zwei Tage draußen hängen. Denn August und September sind die Monsunmonate und da gibt es nur selten einen trockenen Tag. Bei der Familie von Kul gucke ich mir ab, wie sie es macht: die Wäsche immer nur für die kurze Sonnenzeit am Morgen raushängen. Das Trocknen meiner ersten Wäsche dauert also eine ganze Woche.

Da es auf dem Hof kein richtiges Badezimmer mit Dusche gibt, werden jeden Morgen 2 Eimer mit kaltem Wasser aufgefüllt und dann, mit auf-die-Zähne-beißen, über den Kopf gekippt. Daran muss man sich erst einmal gewöhnen. An kalten Tagen, wo die Sonne nicht scheint, muss man sich daraufhin ans Feuer setzen und  zusammen mit einer Tasse Kaffee wieder aufwärmen.

Das eigentliche Frühstück, wird von Kul als „Lunch“ bezeichnet. Die genaue Definition von verschiedenen Mahlzeiten ist nicht ganz klar und wir müssen  häufig über die verschiedenen Bezeichnungen lachen. Ich helfe sehr gerne morgens mit, das „Dalbhat“ vorzubereiten. Es müssen Kartoffeln aus der Vorratskammer geholt,  geschält und geschnitten werden. Zusammen mit den Kartoffeln wird ein Gemüse vom Feld für ein Curry verwendet. An manchen Tagen gibt es dazu auch frische Eier von den Hühnern vom Hof. Das Essen schmeckt wirklich immer überragend. Es ist eine sehr natürliche Art des Kochens, da fast alle Lebensmittel vom eigenen Feld stammen und über dem offenen Feuer zubereitet werden.

Nach dem großen „Lunch“ geht es zur Schule. An jedem neuen Morgen geht mir das Herz auf, in die Schule zu treten. Wenn die Schüler mich sehen, falten sie ihre Hände und brüllen schon aus weiter Ferne „Namaste, good morning, Sir!!“ Eine sehr respektvolle und herzliche Art, sich zu begrüßen.

Am „Children´s day“ marschiert die ganze Schule mit
Schildern und lautstarken Parolen durch Angpang.
Eine tolle Atmosphäre unter den tiefen Wolken.

Morgendliches Aufstellen für das Assembly. Nationalhymne singen, Morgengebet, Health check, eine kurze Rede und dann Abmarschieren in die Zimmer. Diese Routine findet jeden Morgen statt.

Unterricht in der vierten Klasse.

 

Teil 5

Projekt “Plastik”:

Schon auf dem Weg nach Angpang sieht man vom Auto aus: Alle Hänge sind voller Müll. Das meiste ist Verpackungsplastik, wofür es keinen geregelten Entsorgungsweg gibt. Ein wirklich schlimmer Anblick. Die Mengen an Plastikspielzeug und verpacktem Essen wie Nudeln, Bonbons und Plastikflaschen sind wirklich groß und die Dörfer in den Gebirgsregionen haben nur sehr schwer Entsorgungsmöglichkeiten. Das Bewusstsein, wie schädlich diese Verpackungen für die Natur sind, ist nicht vorhanden. Der Müll wird so  schnell es geht entsorgt. Plastikflaschen fliegen aus dem Autofenster und  Bonbonverpackungen werden einfach losgelassen und vergessen. Mir fällt auf, dass ganz besonders die Kinder keinen guten Bezug dazu haben. In der Schule wird der gesamte Müll jeden Tag zu einer Feuerstelle gebracht und dort angezündet. Für die Nepalesen ist dies der einzige Weg, um vom vielen Müll loszukommen. Das Problem  ist dann der Gestank. Der giftige Rauch zieht häufig über den Schulhof und in die Klassenräume. Ich versuche, das Thema unter den Lehrern anzusprechen, doch bekomme nur wenig Rückmeldung. Alle wirken sehr ratlos. Ich versuche, ein kleines Projekt zu entwickeln, welches den Schülern mit Spaß die Problematik von Plastik in der Natur näherbringen soll. Ich organisiere mit den Lehrern einen Freitag, an dem die ganze Schule durch Angpang läuft und Müll sammelt („Clean-up Angpang“). Die Woche darauf versuche ich, mit verschiedenen Klassen zu sprechen. Ich merke jedoch schnell, dass nur die Schüler ab Klasse 6  wirklich etwas mit der Thematik anfangen können. Eine Bilderreihe  soll die Entwicklung von Plastik in der Natur darstellen. Dazu bringt jeder Schüler Plastikverpackungen von Zuhause mit und wir gestalteten  eine Collage. Alle haben Freude an der Arbeit. Ihnen gefällt die Abwechslung zum normalen Unterricht sehr. Im nächsten Schritt nutze ich kurze Filme von Youtube, um den vorher gemalten Prozess noch einmal zusammenzufassen. Die Schüler machen sich Notizen und zusammen erarbeiteten wir uns die schwierig verstehbaren Filme. Das Verständnis für das Projekt ist unterschiedlich. Einigen Schülern sehe ich an, dass sie nicht genau wissen, warum sie dies tun. Plastikverpackungen auf ein Poster kleben, macht für sie nur wenig Sinn. Aber mit der Zeit wird das Verständnis größer und somit auch der Tatendrang.

Die Collage aus Verpackungsplastik und die Bilderreihe zum Thema: „Plastik in der Natur“.

Kul spricht immer davon, dass er – wenn er als Abgeordneter gewählt werden würde – , Kathmandu in 2 Jahren sauber kriegen könnte. Während seines Besuches 2018 in Deutschland konnte er viel sehen und neue Ideen mit nach Nepal nehmen. Einfache Dinge wie das Pet-System der Plastikflaschen oder der durchdachte Kartoffelanbau der Deutschen sind Ansätze, die er jetzt hier umsetzt. Er sagt, dass seine Pflanzen, seit er sie in einer bestimmten Ordnung ansät,  windgeschützter sind. D. h. Kartoffeln unter den Mais und in Wällen. Der Wind hat somit dieses Jahr nur einen sehr kleinen Teil der Ernte zerstört. Die Art des Anbaus hat er sich in Deutschland abgeguckt und mir sehr stolz präsentiert.

Kul spricht viel über seine Projekte. Vor lauter Ideen und Tatendrang merkt man ihm an, wie ihm die ganze Arbeit doch ein wenig zu schaffen macht. Für die Dorfbank ist er täglich oft stundenlang am Rechnen und Aufschreiben. Für Meetings muss er einen sehr langen Marsch auf sich nehmen und jeden Tag sitzen neue Leute in der Küche, um mit ihm zu sprechen. Trotz der vielen Arbeit merke ich, wie sehr es ihm am Herzen liegt, mir eine schöne Zeit zu machen. Er kauft Obst, Bier, Müsli, Schokocreme etc. für mich, weil er denkt, dass es mich glücklicher macht und ich diese Dinge vermisse. Ganz im Gegenteil muss ich ihm  erklären, wie sehr ich das traditionelle Essen genieße und den ganzen anderen Kram gar nicht brauche.

Jeden Tag wird der Müll aus den Klassenräumen in dem Steinofen verbrannt.
Der Gestank ist nicht auszuhalten und wird mit dem Wind häufig auch in die naheliegenden Klassenräume getragen.

Kul ist der einzige in seiner Familie, der Englisch spricht. Die anderen sprechen nur Nepali. Für mich bedeutet dies, dass ich auch ein wenig Nepali lernen muss. Ich bekomme Hilfe von den Lehrerkollegen Deek und Dipendra. Über das tägliche Benutzen der Wörter kann ich mir viel sehr schnell einprägen. Es reicht aus, um ein wenig Smalltalk zu führen und über Essen zu sprechen. Es macht großen Spaß, die wenigen Wörter und Sätze anzuwenden. Die Leute freuen sich sehr und ganz besonders in Kuls Familie sind die wenigen Vokabeln sehr wichtig, um sagen zu können, was man mag oder nicht mag. Das einfache Kommunizieren lockert die Stimmung auf und macht den Kontakt leichter für alle. Ganz besonders die Kinder freuen sich jedes Mal, wenn ich etwas auf Nepali sage. Es entstehen tolle Freundschaften – einmal mit den Lehrern, aber auch mit den Kindern/Schülern. Der neunjährige Sudhersan ist mir in der Zeit besonders ans Herz gewachsen. Er ist der Neffe von Kul und wohnt mit seinen Eltern auch mit auf dem kleinen Hof. Die meiste Zeit verbringt er draußen. Wir essen das traditionelle „Dalbhat“ fast immer zusammen bei Kalu, der Frau von Kul. Zusammen schälen wir den frisch geernteten Mais vom Feld oder die Kartoffeln. Ich helfe ihm bei seinen Hausaufgaben oder wir spielen mit den anderen verwandten Kindern Fußball. Mit den Kleinen hatte ich wirklich immer Spaß. Die Kinder strahlen so viel Dankbarkeit aus und freuen sich über jeden Moment, den man mit ihnen verbringt. Man konnte ihnen stundenlang zuschauen beim Murmelspielen.

Sudhersan und ich fleißig am Kartoffeln schälen

Der Hof von Kul eignet sich sehr gut zum Spielen
An jedem Tag wird dort mit dem Fußball, mit Murmeln oder Cricket gespielt.

“Du bist der Gast,” sagt Kul immer. Dabei will ich doch so gerne helfen. Die Arbeit auf dem Feld interessiert mich wirklich sehr  und so versuche ich manchmal, einen Blick auf die Feldarbeit zu erhaschen. Kul fährt z. B. nach Kathmandu, und an einem Samstagnachmittag sehe ich Rudra und Chini (Rudra ist sein Cousin) mit schweren Büffeln in Richtung  Feld gehen. Ich nutze die Gelegenheit und laufe hinterher. Ich frage vorsichtig, ob ich zugucken darf und arbeite mich durch das hohe Gras. Die beiden Ochsen, die nur für die Feldarbeit genutzt werden können, werden mit vor einen Pflug aus Holz gespannt. Das gefällt den beiden gar nicht. Nur mit Hieben lassen sie sich durch das Feld jagen. Hin und wieder zurück. Das Ganze muss kontrolliert von statten gehen, daher hilft auch Dipesh, der älteste Sohn, mit. In der Monsunzeit regnet es sehr viel. Für die Feldarbeit muss man einen trockenen Moment nutzen, um die Arbeit schnell zu erledigen. Da es anfängt zu regnen, müssen wir alles stehen und liegen lassen und machen uns auf den Weg zurück. Für das Abendessen lassen sie mich noch frisches Gemüse vom Feld holen. Aus dem Gemüse wird  ein leckeres Curry. Eine tolle Erfahrung, da ich zuvor diese einfache Art von Feldanbau noch nie gesehen habe.

Kul entschuldigt sich ständig für das einfache aber sehr leckere Essen. Er fragt mich, was ich gerne haben mag und ich antworte mit „Dalbhat“. Ich muss lachen und auch Kul fängt kopfschüttelnd an zu schmunzeln. Er kann es nicht verstehen und entschuldigt sich trotzdem für alles Weitere. Wenn wir beide abends im Speiseraum sitzen, versuche ich, Kul zum Erzählen zu bringen. So höre ich viel über die Entwicklung des Dorfes. Sein Tatendrang ist wirklich beeindruckend, doch kann ich häufig sehen, wie er sich viele Sorgen macht. Er hat mittlerweile eine so große Verantwortung für Angpang und weitere Dörfer, dass ihn die Aufgaben erdrücken. Ein Mann mit einem großen Herz! Ein Vorbild für Menschen in aller Welt.

Dipendra in seinem Zimmer, welches
zur Hälfte aus dem „Health post“ besteht, der Gesundheitsstation.

Thomas, der Vorsitzende von „Kinder von Nepal“, kommt während meiner Zeit in Angpang auch ins Dorf und wird in der Schule herzlich begrüßt.